Optimale Daten für Big Data
Bernhard Wiedemann (links) und Jochen Bihl (rechts), Gründer und Geschäftsführer von Bihl+Wiedemann
Die Leistungsfähigkeit der intelligenten Fabrik in Zeiten von Industrie 4.0 steht und fällt mit der Qualität der zu analysierenden Daten. Gleichzeitig brauchen immer komplexere Fertigungsanlagen immer einfachere Strukturen, um für Anwender beherrschbar zu bleiben. Gerade für Geräte an der Basis der Automation ist deshalb kompromisslose Aufrüstung angesagt. Im Gespräch mit den ASi MASTER NEWS skizzieren Jochen Bihl und Bernhard Wiedemann ihre Strategie.
ASi MASTER NEWS: Herr Bihl, vor ziemlich genau zwei Jahren haben Sie in einem Interview zum Thema Industrie 4.0 gesagt: „Auch wenn noch niemand ganz konkret definieren kann, wie die Optimierungen aussehen werden – eines steht fest: Da kommt was richtig Großes auf uns zu.“ Wie klingt Ihre Einschätzung heute?
Jochen Bihl: Dass da etwas richtig Großes auf uns zukommt, hat sich inzwischen mehr als bestätigt. Wie genau das im Einzelnen aussehen wird, wissen wir zwar noch immer nicht, aber das müssen wir auch nicht: Die Big-Data-Analysen, die eine Basis für die intelligente Fabrik von morgen sein werden, finden auf einer weitaus höheren Ebene als auf der der Aktuatoren und Sensoren statt. Wir sind letztlich „nur“ dafür verantwortlich, dass die Daten in möglichst optimaler Form und auf möglichst effiziente Art dahin gelangen, wo sie analysiert werden können. Wobei das Wörtchen „nur“ nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass sich dahinter eine gewaltige Herausforderung verbirgt. Denn wenn die Daten, die von unten kommen, nichts taugen, dann taugt oben die beste Analyse nichts.
Bernhard Wiedemann: Unsere ASi Gateways sind in der Automatisierungspyramide oft die erste Komponente, die ausreichend Leistung bereitstellt, um sämtliche Daten von Aktuatoren und Sensoren an unterschiedliche Schnittstellen zu liefern. Und genau das sehen wir im Moment als unsere dringlichste Aufgabe: unsere Geräte fit zu machen für all die steigenden Anforderungen, die unsere Kunden in den nächsten Jahren im Rahmen von Industrie 4.0 stellen.
ASi MASTER NEWS: Wie viel Zeit bleibt Ihnen dafür?
Bernhard Wiedemann: Nicht viel. Das Ganze ist für uns tatsächlich schneller konkret geworden als wir dachten. Geredet wird darüber schon länger. Doch jetzt gibt es Anwender, die sagen: „Sobald ihr Geräte mit der nötigen Power und den nötigen Schnittstellen habt, bauen wir sie ein – wir sehen darin schon heute einen echten Mehrwert.“ Deshalb arbeiten wir schon mit Hochdruck an der Umsetzung. Auf der sps ipc drives in Nürnberg werden wir bereits die ersten Ergebnisse vorstellen.
Jochen Bihl: Ich glaube, etwas Besseres als diese plötzliche Dynamik auf Seiten unserer Kunden hätte uns gar nicht passieren können. Der direkte Bezug zur Praxis motiviert unsere Entwickler bekanntlich immer wieder zu Höchstleistungen. Am liebsten suchen wir gemeinsam mit unseren Kunden nach konkreten Lösungen für konkrete Probleme. Wenn sich aus diesen spezifischen Lösungen dann universell einsetzbare Serienkonzepte ableiten lassen, ist das natürlich perfekt. Und mit einem solchen Idealfall haben wir es hier zu tun.
ASi MASTER NEWS: Was soll und wird in der digitalen Fabrik von morgen effizienter, einfacher und schneller laufen als heute?
Bernhard Wiedemann: Im Grunde geht es zunächst einmal darum, dass die Automatisierungstechnik eine passende Antwort auf die rapide zunehmende Komplexität der Fertigungsanlagen geben muss. Wenn technologisch alles so bleibt wie bisher, kommt zwangsläufig irgendwann der Punkt, an dem es für den Anwender nicht mehr beherrschbar ist. Deshalb müssen wir die Systeme einfacher strukturieren, und sie müssen logischer werden.
Jochen Bihl: Die Forderung nach leichterer Bedienung der Anlagen bedeutet im Umkehrschluss, dass die Komplexität auf der Seite der Komponentenhersteller geradezu explodiert. Nehmen Sie als Beispiel einen 7-jährigen Jungen mit seinem neuen Smartphone: Er kann problemlos mit der Oma telefonieren, Filme anschauen und sich per WhatsApp mit seinen Kumpels verabreden. Aber das kann er nur, weil ihm das Gerät im Hintergrund fast alles abnimmt, was dafür an komplizierten technischen Vorgängen nötig ist.
ASi MASTER NEWS: Ihre Vision ist also, dass sich Fertigungsanlagen irgendwann so einfach bedienen lassen wie ein Smartphone?
Jochen Bihl: Sie sagen es. Der Anwender soll mit einem Tablet in der Hand durch seine Fabrikhalle laufen können und sich auf einen Klick einen Überblick über alles verschaffen, was für ihn in diesem Moment wichtig ist. Das System sagt ihm etwa per Sprachausgabe: „Geh‘ mal nach hinten links, da sitzt eine Klemme am Modul 4711 locker – zieh‘ die mal lieber fest, bevor sie Scherereien macht.“ Viel Unvorhergesehenes kann eigentlich gar nicht mehr passieren, weil sich die meisten potenziellen Fehlerquellen durch Big-Data-Analysen schon lange im Voraus identifizieren lassen.
Bernhard Wiedemann: Und einmal im Monat macht das Strategieprogramm vielleicht einen Vorschlag für gezielte Optimierungen der einzelnen Fertigungsschritte – etwa nach dem Motto: „Wenn du folgende Änderungen vornimmst, kannst du künftig zwei Autos mehr pro Tag produzieren. Wir wissen das, weil wir eine Simulation mit den realen Daten der konkreten Maschine, die wir jeden Tag und jede Sekunde aufnehmen, durchgeführt haben.“
ASi MASTER NEWS: Und die optimalen Daten für Big Data kommen unter anderem von AS-Interface?
Bernhard Wiedemann: So ist es. Die Daten sind gewissermaßen der Rohstoff. Sie waren schon immer da, man hat sie aber noch nicht heben können. Mit unserer neuen Hardware-Plattform sind wir in der Lage, sie zu aggregieren und in einer Form zu liefern, die es den Daten- Analysten in den Unternehmen ermöglicht, etwas Schlaues damit zu machen. Was genau sie damit anstellen, ist für uns eigentlich nicht so wichtig. Unser Anspruch liegt darin, die Daten für alle denkbaren Arten der Nutzung bestmöglich aufzubereiten und bereitzustellen.
Jochen Bihl mit einem ASi-3 CIP Safety über EtherNet/IP+Modbus TCP Gateway
Jochen Bihl: Ein entscheidender Punkt dabei: Wir integrieren in unsere Geräte eine zusätzliche Schnittstelle, damit die IT-Spezialisten direkt auf unsere Daten zugreifen können. Das ist deshalb so wichtig, weil die Fabriksteuerung natürlich parallel dazu weiterläuft. Ohne diese zusätzliche Schnittstelle müssten die Daten mitunter über mehrere Steuerungen hinweg nach oben durchgeroutet werden. Das wäre nicht nur mit einem enormen Aufwand für die SPS-Programmierer verbunden, sondern auch mit großen Risiken: Denn falls dabei etwas schief geht, steht im worst case die Maschine still oder das Lager lässt sich nicht mehr bedienen. ASi MASTER NEWS: Mit dieser weiteren Schnittstelle nehmen vermutlich auch die Anforderungen an die Rechenleistung Ihrer Geräte spürbar zu? Bernhard Wiedemann: Richtig. Die ASi Gateways, mit denen wir einst anfingen, hatten genau eine Schnittstelle nach unten und eine nach oben, und dazwischen wurde etwas gerechnet. Es gab damals auch nur einen Adressaten, der sich für die Daten von Sensoren interessierte: die SPS. Heute haben wir es mit vielen verschiedenen Interessenten zu tun: von der Diagnose- Software über den Fernwartungsserver bis zum Visualisierungstool. Darüber hinaus kommuniziert jedes Modul über Safe Link mit vielen weiteren Artgenossen in anderen sicheren ASi Kreisen. All das geschieht gleichzeitig. Und jetzt kommt mit der IT-Analyse noch ein Teilnehmer dazu, der mit Daten versorgt werden will.
Jochen Bihl: Um dazu ein paar Zahlen zu nennen: Unsere früheren Geräte-Generationen verfügten über einen Prozessor mit 16 MHz. Unsere künftige Hardware- Plattform arbeitet mit Dual-Core-Prozessoren mit 800 MHz. Die Rechenleistung unserer Geräte ist also innerhalb von 10 Jahren um den Faktor 100 gewachsen. In Worten: hundert! Dabei kam uns natürlich eine günstige Großwetterlage auf dem Prozessorenmarkt zugute. Wir profitieren hier ganz klar davon, dass dank der rasanten Entwicklung im Bereich der Mobiltelefone die Preise für leistungsstarke kleine Chips deutlich gefallen sind. Deshalb haben wir uns auch entschieden, gleich an die Grenzen des Bezahlbaren zu gehen, um von Anfang an zukunftssichere Lösungen zu entwickeln und für die nächsten fünf Jahre auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. ASi MASTER NEWS: Gelten die dramatisch gewachsenen Anforderungen eigentlich nur im Standardbereich oder auch in der Sicherheitstechnik? Bernhard Wiedemann: Da gibt es letztlich kaum Unterschiede. Nur die jeweiligen Treiber sind andere. Bei Standardanwendungen ist es der Trend zu Industrie 4.0, der die Aufrüstung unumgänglich macht. Unsere Sicherheitskonzepte dagegen brauchen deswegen mehr Leistung, weil wir uns in immer komplexeren Umgebungen bewegen. Das heißt: Es gilt, noch mehr Antriebe anzusteuern und sie noch differenzierter abzuschalten. Anfang 2016 beispielsweise konnten wir über CIP Safety über Sercos acht Antriebe sicher überwachen, morgen sollten es schon deren 30 sein. Das ist jetzt zwar nicht der Faktor 100, aber auch schon eine ganz andere Größenordnung – und in noch kürzerer Zeit umzusetzen. ASi MASTER NEWS: Im Hinblick auf die zusätzliche Schnittstelle in Ihren Geräten haben Sie sich für das OPC UA Protokoll entschieden. Warum eigentlich? Jochen Bihl: Das hat gleich mehrere Gründe. Zum einen handelt es sich dabei um einen offenen Standard, der die Kommunikation mit den unterschiedlichsten Komponenten ermöglicht. Wir können die Daten, die wir aggregiert haben, also entweder in eine Cloud schicken, an einen lokalen Server oder auch an ein Visualisierungstool. Gerade diese Flexibilität spielt angesichts der weiteren Entwicklung im Bereich Industrie 4.0 eine zentrale Rolle. Zum anderen ist OPC UA derzeit das am weitesten verbreitete Protokoll in diesem Kontext. Deshalb halten wir es – Stand heute – für die mit Abstand beste Lösung. Und dann gab es noch einen sehr individuellen Grund für die Entscheidung: Einer unserer Kunden wartet nämlich schon auf unser Gateway mit OPC UA, um es an der SPS vorbei mit seinem Bediengerät zu verbinden. Sollte sich morgen ein weiterer Standard etablieren, wäre auch das für uns selbstverständlich kein Problem. Die vielsprachige maschinelle Kommunikation auf Basis vieler verschiedener Protokolle ist ja gewissermaßen eines unserer Spezialgebiete. Denken Sie nur an unser großes Sortiment an Gateways von AS-Interface zu fast allen gängigen Automatisierungssystemen.
Bernhard Wiedemann mit dem neuen EtherNet/IP+Modbus TCP Gateway BWU3543
ASi MASTER NEWS: Die IT-Security gewinnt in Zeiten von Industrie 4.0 naturgemäß eine immer größere Bedeutung. Wie sicher ist sicher auf dem aktuellen Stand der Technik?
Bernhard Wiedemann: Zunächst einmal bietet OPC UA ein sauberes kryptografisches Konzept. Es beinhaltet alle modernen Mechanismen wie RSA oder AES, die selbstverständlich von unseren Geräten unterstützt werden – das sind schon mal beste Voraussetzungen für den Aufbau einer effektiven Kryptografie-Infrastruktur in der jeweiligen Fabrik. Zusätzliche Sicherheit bringt die Tatsache, dass die verschiedenen Netzwerkschnittstellen in unseren Geräten physisch getrennt sind. Das erleichtert die Segmentierung der Systeme erheblich und erschwert damit deutlich den Durchgriff von einem Netzwerk zum anderen. Jochen Bihl: Und alle Anwender, die OPC UA im Moment noch nicht verwenden wollen, brauchen sich darüber ohnehin keine Gedanken zu machen. Denn im Default sind die OPC UA Schnittstellen in unseren Geräten selbstverständlich abgeschaltet. ASi MASTER NEWS: Sie haben vorhin explizit darauf hingewiesen, dass die universelle maschinelle Kommunikation seit jeher zu den Stärken von Bihl+Wiedemann gehört. Insofern müsste Ihnen die aktuelle Entwicklung zu noch mehr Vernetzung eigentlich sehr entgegenkommen… Jochen Bihl: Ja, genau so sehen wir das auch. Die Herausforderung, die jetzt ganz konkret ansteht, liegt in der Tat in unserer DNA. Entsprechend entschlossen gehen wir sie auch an: selbstbewusst, aber ganz bestimmt nicht überheblich. Als ASi Spezialisten sind wir nicht die Vorreiter in Sachen Industrie 4.0. Aber wir werden all diejenigen, die von Big-Data-Analysen profitieren wollen, bestmöglich mit Daten versorgen.
Bernhard Wiedemann: Und was man keineswegs vergessen darf: Die stärkste Konkurrenz zu unseren ASi basierten Systemen ist noch immer die aufwändige Parallelverdrahtung, und die wird in den intelligenten Fabriken von morgen definitiv einen noch schwereren Stand haben als heute. ASi MASTER NEWS: Herr Bihl, Herr Wiedemann, wir danken Ihnen für das Gespräch.